Vereinsleitlinien

Die Gesellschaft für Naturkunde dient seit ihrer Gründung der Erforschung der heimischen Natur und der Verknüpfung der Ergebnisse mit den allgemeinen Fortschritten der Naturwissenschaften. Sie arbeitet vor allem im Bereich der Bio- und Geowissenschaften. In der Anfangszeit war auch die Chemie wesentlich beteiligt; der berühmte Stuttgarter Chemiker Hermann Fehling veröffentlichte zahlreiche Arbeiten in den Jahresheften des Vereins.

Die Gesellschaft ist in der Öffentlichkeit vor allem durch ihre Vortragsveranstaltungen gegenwärtig. Diese wissenschaftlichen Vorträge sind kostenlos und öffentlich. Die Vorträge sollen zum Verständnis der Leistungen der Naturwissenschaften beitragen, die Verbindung mit der regionalen Forschung herstellen und die Bedeutung der Grundlagenwissenschaften für die Zukunftssicherung aufzeigen.

Die naturwissenschaftliche Grundlagenforschung ist heute von der praktischen Anwendung nicht mehr zu trennen. Umso wichtiger sind Kenntnisse über Grenzen der Wissenschaft und über Grenzübergänge zwischen den Wissenschaften. Die Spezialisierung entbindet nicht von der Notwendigkeit zur fachübergreifenden Kompetenz. Der Biologe und Physiker Hermann von Helmholtz bemerkte schon in der Mitte des 19. Jahrhunderts: "Wir können nicht verkennen, daß, je mehr der Einzelne gezwungen ist, das Feld seiner Arbeit zu verengen, desto mehr das geistige Bedürfnis sich ihm fühlbar machen muß, den Zusammenhang mit dem Ganzen nicht zu verlieren."

Die heutige Welt ist, um mit dem Philosophen Mittelstrass zu reden, eine "Leonardo-Welt", d.h. eine Welt, die auf Naturwissenschaft und Technik aufbaut und ohne diese nicht denkbar ist. Ein Zurück aus dieser Leonardo-Welt gibt es nicht - schon die Bevölkerungszahl der Erde verhindert dies. Der durch Kant charakterisierte Geist der Aufklärung kann nicht wieder in die Flasche zurückgebracht und eingeschlossen werden. Die Leonardo-Welt benötigt die Entwicklung von Rationalität.

Die Naturwissenschaften sind heute so umfangreich, dass sie niemand mehr überschauen kann. Es gibt aber eine Einheit in ihren Voraussetzungen: die Begründungspflicht wissenschaftlicher Aussagen und die Nachweispflicht von Tatsachenfeststellungen. Sie machen den grundlegenden Bildungswert der Naturwissenschaften aus, auch für die Schule - einen Bildungswert, den andere Schulfächer nicht erbringen können. Wer von Gentechnik oder Tierversuchen nur weiß, dass er dagegen ist, der weiß zu wenig! Rationales Forschen schafft neue Möglichkeiten. Diese lassen sich zum Guten oder zum Bösen anwenden - dies war so in der ganzen Wissenschaftsgeschichte. Rationalität schafft aber auch fortgesetzt Probleme: es gibt eben keine Formel, die eine Berechnung erlaubt, wie wir die Umwelt verbessern und gleichzeitig unseren Energiebedarf decken können! Darüber hinaus zeigt die heutige Naturwissenschaft, dass es unübersteigbare Grenzen der Vorausberechenbarkeit gibt. Der Einsturz des klassischen, etwa durch den Namen Laplace zu charakterisierenden Weltbildes erfolgte spätestens mit Heisenbergs Unschärferelation 1928 und dem Unentscheidbarkeitssatz von Gödel 1931. Heute wissen wir außerdem, dass das Verhalten vernetzt komplexer nichtlinearer Systeme prinzipiell nur sehr beschränkt vorhersagbar ist. Solche Systeme sind z.B. die Ökosysteme der Biologie - aber natürlich auch die noch viel komplexeren Organisationsformen menschlicher Gesellschaften. Es gibt keine Vorausberechenbarkeit komplexer Systeme und damit keine totale Sicherheit. Es gibt aber sehr wohl eingeschränkte Vorhersagen, die für weitgehend lineare Prozesse recht genau sein können. deshalb ist es möglich, eine Rakete zielgerichtet zum Mond zu bringen, nicht aber das Wetter auf 14 Tage vorherzusagen.

Daher ist weder totaler Zukunftsoptimismus noch ein totaler Pessimismus angebracht. Gefragt sind Mit- und Vorausdenken. Die Furcht vor möglichem Irrtum führt zur Handlungsunfähigkeit. Naturwissenschaft ist aber außerdem ein Stück Abenteuer des Geistes; vielen Menschen macht es Freude, sich damit abzugeben, oft im Rahmen von Freizeitbeschäftigung. Aus solcher sind gerade im regionalen Bereich wichtige wissenschaftliche Arbeiten hervorgegangen. Davon geben auch unsere Jahreshefte Zeugnis. Für alle diese Menschen gilt ebenso wie für die Fachwissenschaftler: "Der Weg ist das Ziel."